DESIGN IST KEIN SELBSTZWECK: CHEFDESIGNER FÜR SURFACE RALF GROENE IM GESPRÄCH MIT ANNE DICKHARDT

ANY DI Gründerin und Designerin Anne Dickhardt war bei Microsoft in Berlin zu Besuch. Dort wurde sie zusammen mit Ralf Groene, dem Head of Industrial Design Microsoft, interviewt. Anne steht für Fashion, Ralf für Tech - doch beide lassen sich von der jeweils anderen Welt inspirieren.

WARUM IST DER WISSENSTRANSFER ZWISCHEN MODE- UND TECH-DESIGNERN SO WICHTIG?

Ralf Groene (RG): Die Welten wachsen zusammen. Wir machen zwar Computer-Hardware und keine Haute Couture, aber es gibt viele Gemeinsamkeiten. Farb- und Materialwahl sind für uns längst mehr als dekorative Aspekte. Wir wollen Menschen ermöglichen, ihrer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Aus diesem Grund bieten wir beispielsweise Sandstein als neue Farboption für Surface Laptop 3 an. Menschen nutzen keine Technologie nur der Technologie willen, sondern damit sie etwas erschaffen können, was ihnen persönlich wichtig ist. Ist das erfüllt, nähern wir uns dem perfekten Laptop.

Anne Dickhardt (AD): Wie Menschen heutzutage Technologie in ihrem Alltag verwenden, ist für mich als Taschen-Designerin von zentraler Bedeutung. Das fängt damit an, wie viele Fächer für welche Geräte eine Handtasche enthalten sollte. Es geht aber auch soweit, dass wir bei der Planung der Kollektion kontinuierlich hinterfragen, inwiefern es neue Taschenformate braucht oder wie wir bestehende Taschenformate an die Verwendung neuer Geräte anpassen. Gerade, weil es im Beruf und Alltag so wichtig ist, nimmt dieses Thema im Design-Prozess großen Raum ein und führt zum Teil zu äußerst lebhaften Diskussionen im Team. Schließlich steht die Marke für gleichzeitig funktionale und elegante Taschen. Beides muss in Einklang stehen und darf niemals einem Kompromiss zum Opfer fallen.

IHR BEIDE DESIGNT MULTI-FUNKTIONS-PRODUKTE. WIE GEHT IHR DIE HERAUSFORDERUNG AN,
DASS EIN PRODUKT VIELSEITIG EINSATZFÄHIG IST, ABER TROTZDEM ÄSTHETISCH WIRKT?

RG: Es funktioniert nicht, zu einer Sache einfach eine andere hinzuzufügen. Nicht Addieren, sondern Transformieren ist der richtige Ansatz. Und zwar so, dass sich das Device in die Lebensrealität einfügt. Als ich den Kickstand für die Surface-Pro-Reihe entwickelte, hatte ich das Beispiel einer Anwältin im Kopf. Sie arbeitet von Zuhause aus, um sich um den Nachwuchs zu kümmern. Für Video-Konferenzen
kann sie nicht immer am Schreibtisch sitzen. Der Kickstand ist die Lösung. Wird er nicht gebraucht, schmiegt er sich ans Gehäuse an und macht das Gerät wieder zum Tablet. Würde er zu dick sein, wie ein Fremdkörper am Gerät, wäre der Kickstand vermutlich ein Flop geworden.

UND AUF DIE FINALE FORM KAMT IHR EINFACH SO?

RG: Nein, ich folge einem Leitsatz, der Antoine de Saint-Exupéry zugeordnet wird: „Die
Technik entwickelt sich vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen.“ Am Anfang stand die Idee eines integrierten Standfußes. Dann haben wir einen Prototyp entwickelt und eine Platte mit Klebeband auf der Rückseite einer Displayeinheit befestigt. Das sah kompliziert aus, aber es reichte, um eine Freigabe für die Weiterentwicklung zu erhalten. Erst im Feinschliff haben wir die Konstruktion so vereinfacht, bis sie ihre heutige Form erhielt. Vieles ausprobieren, scheitern, schnell verwerfen und anders weitermachen, bis es gut ist – daran glaube ich

AD: Ohne Liebe zur eigenen Vision und Durchhaltevermögen geht es nicht. Meine Vision von einer perfekten Handtasche reifte von meiner Jugendzeit als Tennis-Spielerin mit viel Reisegepäck bis nach dem Design-Studium. Dann
habe ich zweieinhalb Jahre am Prototyp gefeilt, bis ich eine Luxus-Handtasche hatte, die ebenso als Rucksack funktioniert, aber nicht so aussieht.

WIE GENAU ENTWICKELT MAN EIGENTLICH ETWAS, DAS MAN NICHT SEHEN SOLL? ANY DI TASCHEN SEHEN NICHT NACH RUCKSACK AUS, SURFACE-GERÄTE NICHT NACH BÜRO-TECHNIK – ABER ERFÜLLEN DEN ZWECK.

RG: Dazu löse ich mich vom Produkt und stelle mir ein Objekt vor, das die Persönlichkeit des Nutzers erweitert. Ich sehe Parallelen zu Musikinstrumenten. Musizieren zu lernen dauert lange, aber irgendwann geht es ins Blut über. Dann wird das Instrument zu einer Erweiterung des Körpers. So muss auch Technik von heute sein. Nichts daran darf dich hindern, zu performen. Erkenne ich bei einem Produkt, was zwischen ihm und den Nutzern steht, weiß ich, was in den Hintergrund treten muss.

AD: Für mich gilt der gleiche Maßstab. Wenn eine Tasche Freude erzeugt, obwohl sie ein Funktionsgegenstand ist, dann weiß ich, dass die Form reduziert genug ist. Geschäftsfrauen und -männer sind mit ihren Taschen jeden Tag viele Stunden unterwegs. Sie sollen sich gut damit fühlen und selbstbewusst zeigen können – ohne dass alle erkennen, dass sie auf dem Weg zur Arbeit sind.

HABT IHR KONKRETE DESIGN-BEISPIELE DAFÜR?

AD: Bei vielen Handtaschen mit Rucksackfunktion erkennt man sofort die zusätzlichen Verschlüsse für die Riemenenden
auf einer der beiden Seiten. Das stört mich wahnsinnig. Wieso muss man die sehen? Bei meinem ersten Modell namens Bag L habe ich die Verschlüsse nach unten geführt und mit den Metallfüßen auf dem Taschenboden kombiniert. Die sind sowieso da, um das Obermaterial vom Schmutz fernzuhalten.

RG: Das gefällt mir sehr! Ein fantastisches Beispiel dafür, wie man Vorhandenes kombiniert und daraus etwas Neues erschafft, was das Design als Ganzes verbessert. Aus diesem Grund gibt es auch keine herkömmliche Aussparung,
sondern einen minimalen aber trotzdem gut fühlbaren Überstand zum Öffnen des Laptopdeckels beim Surface Laptop 3.

AD: Es sind diese kleinen Details, die den Unterschied machen
können. Ich merke immer mehr, wie die Design-Philosophie von Ralf und mir sich ähneln.

RG: Deswegen finde ich solche Design-Kooperationen auch so wichtig. Wie man Farbwahl, stoffliche Haptik und technische Konstruktion in Einklang bringt, ist ein großes Thema bei uns um Team. Wir treffen uns regelmäßig mit großen Modenmarken, um neue Einblicke zu bekommen

Das Interview hat uns Microsoft zur Verfügung gestellt.